On History

 

 

GEDANKEN ZUR INSPIRATION VON ELLEN G. WHITE ­

 

Die Interdikte von 1411 and 1412

 

Als der Reformator Johann Huss in Böhmen wirkte, geschah folgendes:

 

"König Wenzel war, äu8erst erbost über die Kurie, daß all seine Bemühungen zugunsten von Huss so schnöde ignoriert worden waren. Ihm mißfiel zutiefst der Ruch der Ketzerei, in den der Kardinal and sein eigener Erzbischof sein Land dadurch brachten ... Der König ... erließ nun einen Befehl zur Einstellung der Zahlungen an .....die Priester der Kathedrale sowie die Pastoren der Kirchen in Prag. Als Grund gab er an, sie hätten über das Reich Lügen verbreitet...

 

Nunmehr war Zbynek (der Erzbischof) so entschlossen, all seine kirch­liche Macht einzusetzen, daß er auf Anraten seiner Berater ein Inter­dikt (am 20. Juni) über Prag and einen Umkreis von 2 Meilen verhängte. Die schreckliche Waffe, die normalerweise alle Gottesdienste and Hand­lungen wie Taufen, Hochzeiten, Beerdigungen und die Erteilung jeglicher Sakramente unterbindet, blieb wirkungslos. Der König verbot einfach die Befolgung. Diejenigen Priester and Pralaten, die sich seinem Befehl widersetzten, wurden ihrer Ämter enthoben, die dann mit solchen besetzt wurden, die seinen Willen befolgten. Die Domherren von St. Veit flohen, and ihre Ämter übernahmen andere. Diesen offenbar hoffnunslosen Kampf erhielt der Erzbischof nur zwei Wochen lang aufrecht.  Am 3. Juli nahm er zusammen mit den übrigen Prälaten and Priestern, die ihm treugeblie­ben waren, den ihm vom König angebotenen Vergleich an."

 

Dieses Zitat stammt von Matthew Spinka, "John Huss: A Biography" (Princeton, 1968), Seite 124-125. und wird als maßgebend zitiert von Ron Graybill in "Historical Difficulties in the Great Controversy" (Historische Schwierigkeiten im Großen Kampf) herausgegeben vom White Estate (Washington, D.C.) am 30. Januar 1978, revidiert im Juni 1982, Seite 3-4. Es ist also eine offizielle Schrift der Siebenten-Tags­Adventisten.

 

Im nächsten Jahre, 1412, verhängte dann der Papst ein Interdikt gegen Prag, das befolgt wurde and zu solchem Tumult führte, daß Huss die Stadt verließ and im Dezember 1412 in einem Brief schrieb:

 

"Wenn ich mich aus eurer Mitte zurückgezogen habe, so deshalb, um dem Gebot und Beispiel Jesu Christi zu folgen, den Übelgesinnten keinen Raum zu geben, sich ewige Verdammnis zuzuziehen, und um über die Frommen nicht Leid and Verfolgung heraufzubeschwören ..."

 

Dieses Zitat von Huss findet sich bei Ellen White in GC 101 = GK 100 mit vorausgehender Beschreibung der schrecklichen Auswirkungen eines Interdikts; es ist aber von ihr dem Zusammenhang nach auf 1411 bezogen. Daß Huss den Brief im Dezember (gleich, welchen Jahres) geschrieben hatte, geht aus dem Satz hervor: 'Meine Geliebten, der Tag ist nun na­he, daß wir der Geburt des Herrn gedenken werden." - Graybill, Seite 6  (nicht bei Ellen White).

 

Im Dezember 1411 aber gab es für Huss keinen Grund fur ein solches Schreiben oder für seine Abwesenheit, weil das Edikt vom Juni 1411 wir­kungslos geblieben war - was auch niemand bestreitet. Nur stimmt bei Ellen White die geschichtliche Einordnung nicht. Ron Graybill erörtert dann zwei Erklärungsversuche, die in Adventkreisen vorgebracht wurden, um Ellen White zu retten.

 

1  -  Sie habe das Interdikt von 1412 gemeint - was aber unmöglich sei, da sie beide Interdikte unmißverständlich erwähnt.

 

2  - Sie habe nur eine allgemeine Beschreibung eines Interdikts geben wollen - was aber abwegig sei, weil 1411 genau das Gegenteil eintraf.

 

Er verwirft also beide Erklärungsversuche als unzureichend and stellt nach eingehender Würdigung der geschichtlichen Quellen fest: "Somit wis­sen wir, daß Frau White's Anführung dieses Briefes in diesem Zusammenhang ein historischer Fehler ist, bekannt als  'Anachronismus'." - Seite 6.

 

Wie vereinbart sich das mit Ellen White's Anspruch, sie habe die histo­rischen Begebenheiten des Großen Kampfes im Gesicht gezeigt bekommen? Nun, Ron Graybill zitiert ihren Sohn William C. White, der aussagt, seine Mutter habe das Wesentliche gewissermassen blitzartig im Gesicht gezeigt bekommen, aber die historische Einordnung dieser Szenen auf­grund fehlbarer historischer Quellen vorgenommen.

 

Weiter führt Graybill aus: Vielleicht sah Frau White ein Interdikt, ja, sogar ein wirksames Interdikt. Vielleicht sah sie auch Huss aus Prag fliehen Als sie in außervisionären Quellen suchte, um Zeit und Ort dieses Interdikts und der Abreise von Huss zu finden, benutzte sie Wylie oder Bonnechose. Unglücklicherweise hatten diese zwei Geschichts­schreiber die Auswirkungen des unwirksamen Interdikts von 1411 mit den­jenigen des wirksamen Interdikts von 1412 durcheinandergebracht. Sie folgte ihnen in deren Bericht and war dementsprechend konfus betreffs der genauen Fakten in diesem Teil ihrer Erzählung - Ebenda.

 

Dann folgt sein Fazit in vier Absätzen:

 

"Den Hinweisen von W. C. White and dem vor uns liegenden Beweismaterial folgend, drängt sich uns der Schluß auf, daß "Der Große Kampf" kein Buch ist, das als alleinstehende maßgebliche Quelle in Sachen von Zeit, Ort oder Details historischer Ereignisse verwendbar wäre. Es mag sein, daß Frau White tatsächlich in manchen Fällen visionäre Informationen über diese Sachen hatte; aber sie hat uns kein Buch beschert, in dem es uns möglich wäre, zwischen den allein aus historischen Quellen ge­schöpften Punkten und dem aufgrund von Gesichten dargestellten Material zu unterscheiden. In welchem Sinne ist dann "Der Große Kampf" maßgeblich (englisch: autho­ritative)? Er gibt uns maßgebliche Antworten auf diejenigen Fragen, die die Autorin gemäß ihrer Einleitung beantworten will. Mit welcher Absicht hat sie das Buch geschrieben?

 

Die Szenen des großen Kampfes zwischen Wahrheit and Irrtum zu entfal­ten: die Tücken Satans zu offenbaren sowie das Mittel, womit man ihm erfolgreich widerstehen kann; eine befriedigende Lösung des großen Pro­blems des Böses aufzuzeigen, ein solches Licht auf den Ursprung and die endgültige Abschaffung der Sünde zu werfen, daß die Gerechtigkeit and Güte Gottes in all Seinem Handeln mit Seinen Geschöpfen völlig offenbar wird; and die heilige, unveränderliche Natur Seines Gesetzes aufzuzeigen, ist die Absicht dieses Buches.' - GC Seite xii (= GK 14)

 

In der Behandlung dieser Themen - Themen von viel größerer Bedeutung als die Frage, wo Huss im Sommer 1411 war - ist Der Große Kampf eine ent­scheidende und maßgebliche Quelle"  - Graybill, Seite 6-7.

 

Das liest sich zunächst gut, aber wenn man bedenkt, welches Ringen damals zwischen Wenzel und Huß einerseits und Zbynek und den Priestern andererseits stattfand, so war es doch gerade der erklärte Zweck dieses Buches,  "die Szenen des gro8en Kampfes zwischen Wahrheit und Irrtum zu entfalten", und zwar maßgeblich.

 

Statt dessen finden wir an dieser Stelle (und wer weiß, wie oft sonst noch) ein  frommes Märchen: Wahrheit und Irrtum fließen ineinander; aber es schadet offenbar nicht, solange die Moral von der Geschicht' noch stimmt: Reformator gut; Papsttum schlecht.

 

So allerdings wird sich kaum ein  von EIlen White ilberzeugter Leser den "Großen Kampf" vorge-stellt haben - als ein  Buch, in dem man, wie in jedem anderen auch, die Spreu vom Weizen scheiden muß - ein  weitgehend historisch aufgebautes Buch, in dem nicht feststellbar ist, welche historischen Angaben inspiriert sind und welche nicht - ein Buch, das den Kampf zwischen Wahrheit und Irrtum aufzeigen will und selbst zwischen Wahrheit und lrrtum nicht zu unterschei- den vermag.

 

"Gott tut nichts in Partnerschaft mit Satan", sagt Ellen White (5T 671 = 2.Sk 258). Weshalb ist dann dieses Buch nur teiIweise inspiriert und teilweise auf Irrtum gegründet? Wenn wenigstens die inspirierten Teile durch Rotdruck ersichtlich wären . . .

 

Ron Graybill steht übrigens mit seiner Beurteilung nicht allein  Schon 1975 hat Robert Olson vom White-Archiv zugegeben:

"Frau White hat mehrere irrtümliche historische Aussagen über Huß im 'Großen Kampf'' gemacht...

Ich akzeptiere die Tatsache: Frau White folgte Wylie eng, sehr eng - in GC von Seite 97 durchgehend bis Seite 11O (GK 96 bis 109) . . ."

 

Es ist schwer für mich zu glauben, daß der Herr Frau White ein Gesicht oder eine Serie von Gesichten gab, die vierzehn Seiten lang in all diesen Details mit Wylie gleichlaufen." - Robert W. Olson, "Questions and Problems Pertaining to Mrs. White's Writings on John Huss" (Fragen und Probleme betreffs Frau Whites Schriften über Johannes Huß), White Estate (Washington, D.C.) 1975, Seite 4.

 

 

 

Die zwei Herodes

 

Als ich obiges Eingeständnis eines "historischen Fehlers" las, dachte ich sogleich an die Sache mit den beiden Herodes. Ellen White schreibt in EW 185 = EG 176: "Herodes' Herz war noch härter geworden, und als er hörte, daß Christus auferstanden war. . .  Doch dies war nicht mehr Herodes Antipas, sondern Herodes Agrippa I.

 

In einer Fußnote wird erklärt, es sei eben der "herodianische Geist" gemeint, der sich weiter verhärtet habe. Daß Ellen White das gemeint habe, mag glauben, wer will.

 

Ist es nicht viel einleuchtender, daß der damals noch jungen, unerfahrenen (und hysterischen) Ellen eben solch ein "historischer Fehler" unterlaufen ist, ein Anachronismus, der nicht durch Inspiration abgedeckt  war? Als aber damals diese Fußnote mit ihrer Billigung eingefügt wurde, durfte man noch nicht von ihren Fehlern oder Inspirationslücken sprechen; Olson und Graybill wären damals als Ketzer hinausgeworfen worden (wie bei anderen wegen des gleichen Delikts tatsächlich geschehen).

 

Vielleicht sollte man diese Fußnote nun ändern. Auf jeden Fall sollte im Interesse der Wahrheit bei der Beschreibung über Huß in den Auflagen seit 1975 die Fußnote steheri: "Hier liegt ein Anachronismus vor. Die Autorin hat die Interdikte von 1411 and 1412 verwechselt."

 

Falls nicht geschehen, kann man wohl fragen, ob ein anderes Interesse (Royalties) als das der Wahrheit größer war.

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Dieter Heimke, Schopfloch (D)